In ihrer dunkelsten Stunde - Carofiglio, G: In ihrer dunkelsten Stunde - Le perfezioni provvisorie by Carofiglio Gianrico

In ihrer dunkelsten Stunde - Carofiglio, G: In ihrer dunkelsten Stunde - Le perfezioni provvisorie by Carofiglio Gianrico

Autor:Carofiglio, Gianrico
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
Herausgeber: PeP eBook
veröffentlicht: 2011-10-31T04:00:00+00:00


19

Am nächsten Tag bat ich Maria Teresa in mein Zimmer. Für alles, was Mandanten und Akten aus der Zeit vor dem Umzug betraf, wandte ich mich immer noch an sie. Sie wusste immer genau und sofort, wo sie suchen musste, und erinnerte sich an jedes einzelne Schriftstück.

»Erinnerst du dich an Quintavalle? Er war einer von dieser Gruppe …«

»Natürlich erinnere ich mich. Ich mag es zwar nicht, wenn wir Dealer vertreten, aber das war wirklich ein netter und sehr wohlerzogener Typ.«

»Ja, der ist nett. Er hat sich schon seit mehreren Jahren nicht mehr bei uns gemeldet.«

»Dann haben sie ihn entweder erwischt, oder er dealt nicht mehr. Was mich sehr freuen würde.«

»Vielleicht hat er auch einfach den Anwalt gewechselt.«

»Das ist unmöglich. Du hast ihm damals buchstäblich das Leben gerettet. Bei dieser Anklage einen Vergleich auszuhandeln …«

»Weißt du noch, wer der Staatsanwalt war?«

»Aber sicher.«

»Dann weißt du auch, dass es nicht nur mein Verdienst war. Der würde seine Eltern auf dem Sklavenmarkt verkaufen, wenn er dadurch einen Fall loswerden könnte. Wie auch immer, haben wir eine Telefonnummer von Quintavalle? Ich muss mit ihm reden.«

»In der Akte haben wir die bestimmt. Sofern sie sich nicht geändert hat.« Maria Teresa kennt sich aus mit Dealern. Sie wechseln ständig ihre Telefone, um nicht abgehört zu werden, und ihre Nummern sind deshalb sehr kurzlebig. Das gilt allerdings vorwiegend für die Telefonnummern, die sie für die Arbeit verwenden. Die privaten behalten sie unter Umständen länger.

Ich bat Maria Teresa, im Archiv nachzusehen, und fünf Minuten später kam sie mit einem Zettel zurück, auf dem die Nummer stand.

Quintavalle antwortete beim zweiten Klingeln.

»Guten Tag, ich bin Guido Guerrieri, ich wollte …«

»Herr Anwalt, guten Tag! Wie schön, von Ihnen zu hören. Welche Ehre. Wie komme ich dazu? Ich habe doch nicht etwa vergessen, die letzte Rechnung zu bezahlen?«

»Guten Tag, Damiano, wie geht es dir?«

»Prima, Herr Anwalt. Und Ihnen?«

Ich hasse zwar den Ausdruck »prima«, aber bei Quintavalle störte er mich nicht.

»Mir geht es auch prima. Ich muss dich etwas fragen, aber nicht am Telefon. Könntest du mir den Gefallen tun, in meine Kanzlei zu kommen?«

»Aber klar doch. Wann soll ich kommen?«

»Wenn es heute noch ginge, würdest du mir einen Gefallen tun.«

»Ginge es um sieben?«

»Etwas später wäre besser, dann bin ich mit meinen Terminen fertig, und wir können in Ruhe sprechen.«

»Gut, dann komme ich um acht.«

»Danke. Und, Damiano …«

»Ja?«

»Weißt du, dass wir umgezogen sind? Die Kanzlei ist nicht mehr da, wo sie früher war.«

»Ich weiß, ich weiß. Um acht bei Ihnen.«

Wenn ich mit Leuten wie Damiano Quintavalle spreche – einem Berufskriminellen, der von den Einnahmen aus illegalen Geschäften lebt –, zweifle ich noch mehr als normalerweise an meiner Fähigkeit, die Welt zu verstehen und das so genannte Gute vom so genannten Bösen zu trennen.

Quintavalle ist in erster Linie ein intelligenter junger Mann, der aus einer normalen Familie kommt, studiert hat, auch wenn er keinen Abschluss gemacht hat, der Zeitung liest und manchmal auch ein Buch. Außerdem ist er, wie Maria Teresa sagt, sympathisch. Witzig, ohne ordinär zu sein. Und gut erzogen. Und freundlich.

Sein Geld verdient er allerdings mit dem Verkauf von Kokain.



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